Rosalie war eine Frau, deren Leben von Schicksalsschlägen
gezeichnet war, eine Frau, die stets mit den Schatten der
Vergangenheit kämpfte und sich dennoch bemühte, in einer Welt
der Dunkelheit Licht zu finden. Als vierte Tochter des
Kaufmanns Wilhelm und seiner Frau Emmi wurde sie in den frühen
1950er Jahren geboren. Doch schon früh sollte sie die Bürde des
Verlusts tragen, als ihre Mutter starb, war sie gerade einmal
zwölf Jahre alt.
Die Abwesenheit ihrer Mutter hinterließ eine Lücke in Rosalies
Leben, die nie ganz gefüllt werden konnte. Fortan musste sie
den Haushalt für ihren Vater, ihre vier Jahre ältere Schwester
und sich führen. Die beiden älteren Schwestern hatten bereits
eigene Familien gegründet, während die nächstältere Schwester
sich bereits in der Lehre befand. So blieb Rosalie allein
zurück, um neben der Schule die Pflichten des Haushalts zu
übernehmen. Doch die Erinnerungen an ihre Mutter waren von
einem schmerzhaften Gefühl des Nicht-Erwünschtseins geprägt,
denn sie war ein ungewollter Nachzügler. Emmi hatte einst
erwähnt, wie verzweifelt sie war, noch einmal schwanger zu
sein, mit Rosalie, da sie sich in ihrem reifen Alter nicht mehr
in der Lage sah, ein weiteres Kind großzuziehen.
Rosalie klammerte sich an die Liebe ihres Vaters, doch dieser
war als selbstständiger Kaufmann oft abwesend und hatte kaum
Zeit für das kleine Mädchen. Stattdessen versuchten ihre
älteren Schwestern, den Erziehungsauftrag zu übernehmen, was
Rosalie jedoch als eine unangenehme Erinnerung an ihre Kindheit
empfand.
Mit siebzehn Jahren lernte sie den jungen Fleischer Paul kennen
und wurde bald darauf schwanger. Doch noch während dieser
Schwangerschaft traf sie ein weiterer schwerer Schlag. Ihr
geliebter Vater starb im Alter von nur 67 Jahren einem
plötzlichen Herztod. Nun musste ein Vormund bestellt werden,
damit sie den jungen Paul heiraten konnte. Diese Aufgabe
übernahm der Ehemann ihrer ältesten Schwester.
So begann eine Zeit voller Herausforderungen und Rückschläge
für Rosalie. Ihr Leben schien von einer Kette unglücklicher
Ereignisse geprägt zu sein, die sie nur mit großer Mühe zu
überwinden vermochte. Der frühe Tod ihres Ehemannes im jungen
Alter von 37 Jahren stürzte sie in eine schwere Depression, aus
der sie lange Zeit nicht herauszufinden vermochte.
Ihre Depression machte es ihr unmöglich, am gesellschaftlichen
Leben teilzunehmen, und führte dazu, dass sie den Kontakt zu
ihren Schwestern und der Familie ihres Mannes vollständig
abbrach. Es blieb nur ihre Arbeit in einem Altenheim, eine
Tätigkeit, die ihr zumindest einen gewissen Halt im Leben gab.
Doch auch dort konnte sie die Einsamkeit nicht vollständig
überwinden.
Ihre beiden Kinder, die mittlerweile erwachsen waren und ihre
eigenen Leben führten, waren lange Zeit ebenfalls von ihrer
Mutter entfremdet. Doch in den letzten Monaten ihres Lebens
entwickelte sich zwischen ihnen eine innige und intensive
Beziehung, die zuvor aufgrund von Rosalies Depression kaum
möglich gewesen war. Es war, als ob die Dunkelheit, die sie so
lange umgeben hatte, endlich einem Hauch von Licht wich. Leider
jedoch mehr als 20 Jahre zu spät.
Doch trotz dieser späten Verbundenheit starb Rosalie mit nur 67
Jahren an ihrer Herzerkrankung, und es schien, als ob sie mit
einem gebrochenen Herzen von dieser Welt gegangen war. Ihre
Geschichte ist eine Erinnerung daran, dass das Leben oft voller
Prüfungen und Leiden ist, aber auch von der Hoffnung auf ein
besseres Morgen getragen wird. Rosalies Erbe bleibt in den
Erinnerungen ihrer Kinder und in den Schatten ihrer
Vergangenheit bestehen, als eine Frau, die trotz aller
Hindernisse niemals aufgab und bis zum Schluss um Liebe und
Glück kämpfte.
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