Im Straßencafé „Café Zeit“ sitzt nervös, in ihrem Cappuccino Schaum herumstochernd, Melanie und scheint auf jemanden zu warten. Seit Tagen überlegt sie, wie sie es Jan sagen soll. Oder solle sie lieber Markus reinen Wein einschenken und ihre Ehe beenden? So kann es jedenfalls nicht weiter gehen.
Melanie kann kaum mehr ruhig schlafen, geschweige denn ihre Arbeit als Rechtsanwaltsfachangestellte in einer großen Gemeinschaftskanzlei konzentriert ausüben. Ständig muss sie sich neue Ausreden für Markus einfallen lassen, mit dem sie inzwischen seit 15 Jahren, wenn auch unglücklich verheiratet ist.
Melanie wird aus ihren Gedanken gerissen, als ein stattlich gebauter junger Mann, anfang 20 vielleicht, mit leichtem unrasiertem Teint an ihren Tisch kommt, sich zu ihr herunter beugt und sie auf den Mund küsst. „Jan, da bist Du ja!“ Melanie hat den Kuss kaum erwidert. Aber in diesem Moment, als Jan ihr gegenüber sitzt und bei der Bedienung etwas bestellt, ist ihr Vorhaben mit ihm Schluss zu machen aus ihrem Kopf verflogen. Sofort hat sie die heißen Liebesnächte in Erinnerung, die ihr bei Markus so fehlen. Die Zweisamkeit fühlt sich eher an, wie das Abarbeiten von Bedürfnissen, denn als Liebe machen. Aber mit Jan kann es auch nicht weiter gehen. Er ist nur wenige Jahre älter als Melanies Sohn.
Als Melanie die Haustür aufschließt, kommt Markus ihr schon entgegen, reißt ihr die Tür aus der Hand und fragt: „Wo kommst Du denn jetzt erst her? Du hast seit drei Stunden Feierabend!“
„Wir müssen reden, Markus.“ Sagt Melanie, während sie noch ihre Jacke auszieht.
„Das glaube ich ja wohl auch!“ Schreit Markus sie an, mit einem DinA4-Umschlag in der Hand wedelnd, dessen Absender eine Detektei Paulus ist. So jedenfalls kann Melanie die Aufschrift des Stempels in der Ecke des Umschlags lesen. Markus hat sie schon eine Weile überwachen lassen, weil die Ausreden über ein Wochenendseminar ihrer Kanzlei in einem Berghotel und die immer öfter vorkommenden langen Aufarbeitungen im Büro, bis spät in die Nacht ihm unglaubwürdig vorgekommen sind. Er knallt ihr Fotos auf den Tisch, die zeigen, wie sie Jan küsst oder auch wie sie Händchen-haltend mit Jan aus dem Kino kommt. Weinend kreischt Melanie mit hysterischer Stimme zurück, dass Markus ihr ja spätestens seid ihrer Hochzeit ihr kein liebevolles oder wenigstens wertschätzendes Wort mehr gesagt hat. Und dass sie sich einsam fühlt, weil er ihre Nähe ablehnt, wenn Justus auf seinem Zimmer ist und sie sich zu Markus auf die Couch setzt.
Diese hitzige Auseinandersetzung hat der 15-jährige Justus natürlich gehört. Er stürmt die Holzstufen der Wendeltreppe herunter. „Hört sofort auf!“ Schreit er seine Eltern an. „Wie alt seid ihr eigentlich, dass ihr nicht mal vernünftig miteinander reden könnt?“
Die Eltern verstummen und blicken sprachlos ihren Sohn an. Ihnen ist die Lautstärke ihrer Auseinandersetzung gar nicht aufgefallen. „Meint ihr ich bekomme nicht mit, dass Mama einen Freund hat und Papa sich um nichts kümmert außer seinen Job?“
„Vielleicht solltet Ihr mal miteinander reden, Eure Gefühle, Bedürfnisse und Motive austauschen!“ Markus und Melanie schauen sich erstaunt an. Wann ist ihr kleiner Junge nur erwachsen geworden? Erwachsener als das Elternpaar, wie es scheint.
2